Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt

7 THEORETISCHE GRUNDLAGEN

7.1 Temperatur, Strahlung und Energiebilanz

Die Temperatur der bodennahen atmosphärischen Schicht hängt nicht nur von den großräumigen Wetterbedingungen ab, sondern wird auch von der lokalen Beschaffenheit des Untergrundes sowie der Flächennutzung beeinflußt. Unterschiedliche Temperaturen rühren von unterschiedlichen Energiebilanzen über den jeweiligen Flächen her.

Charakteristisch für die Bodennähe ist, daß dort verschiedene Energieformen ineinander umgewandelt werden. Das Niveau, in dem diese Umsetzung hauptsächlich erfolgt, heißt die aktive Oberfläche. Für eine unbebaute, bewachsene Fläche liegt sie bei dichtem Bestand (Gras) an, und bei weniger dichtem Bestand (Mais, Wald) kurz unter der Obergrenze der Vegetation (OKE, [1978]).

Die Energiehaushaltsgleichung für eine Luftschicht, die von der Erdoberfläche bis zur Energieumsatzfläche (aktive Oberfläche), hier Grenzfläche genannt, reicht, lautet:

(1)

DQs : Nettostrahlungsflußdichte
Qf : Flächendichte der anthropogenen Wärmeproduktion
Qh : turbulente Flußdichte der fühlbaren Wärme
Qv : turbulente Flußdichte der latenten Wärme
Qb : Bodenwärmefluß
DQa : Nettoadvektion latenter und fühlbarer Wärme aus der Umgebung.

Dabei können sämtliche Größen als Leistung pro Fläche gedeutet und dementsprechend in W/m2 angegeben werden.

Der Nettostrahlungsfluß ist die Bilanz aus den lang- und kurzwelligen Strahlungsflüssen, die aus der Atmosphäre auf die Energiegrenzfläche fallen bzw. von dieser zurück in die Atmosphäre gerichtet sind. Die Einstrahlung setzt sich zusammen aus der Globalstrahlung, d.h. der direkten und diffusen Sonnenstrahlung sowie aus der Wärmestrahlung (Gegenstrahlung) der Atmosphäre. Von der Grenzfläche in die Atmosphäre gerichtet sind demgegenüber die reflektierte, kurzwellige Sonnenstrahlung sowie die langwellige, thermische Ausstrahlung. Solange die Summe aus lang- und kurzwelliger Einstrahlung die Ausstrahlung überwiegt, wird der Grenzfläche Energie zugeführt. Da diese aber keine Wärmekapazität besitzt, wird sie zum Teil im Boden und den Gebäuden gespeichert, hauptsächlich aber als Wärme an die Atmosphäre abgegeben. Die Temperatur der bodennahen Luftschicht nimmt dann zu. Sie erreicht ihr Maximum am Nachmittag. Danach wird durch zunehmende Ausstrahlung der Grenzfläche der bodennahen Luftschicht Wärme entzogen, und die Lufttemperatur fällt. Sie sinkt solange, bis sich - kurz nach Sonnenaufgang - Ein- und Ausstrahlung die Waage halten.

Die anthropogene Wärmeproduktion, die z.B in der Stadt mit zur Erhöhung der dortigen Temperaturen gegenüber dem Umland beiträgt, hat eine ihrer Ursachen in der Gebäudebeheizung und weist daher einen Jahresgang mit Minimum im Sommer und Maximum im Winter auf. Weitere Quellen sind der Kfz-Verkehr sowie zahlreiche Prozesse -insbesondere der industriellen Produktion - bei denen Abwärme entsteht.

Die turbulenten Flüsse der fühlbaren und der latenten Wärme sind auf Ausgleich bestehender Wärme- und Feuchteunterschiede gerichtet. Dabei hängt die Wirksamkeit des Austausches vom Turbulenzzustand der atmosphärischen Grenzschicht ab. Dieser wird von der Windgeschwindigkeit, die wiederum von der Rauhigkeitslänge abhängt, und der thermischen Schichtung beeinflußt. Der Austausch ist umso größer,

  1. je höher die Windgeschwindigkeit,
  2. je größer die Rauhigkeitslänge und
  3. je labiler die Schichtung

sind.

Die Aufteilung des von der Grenzfläche ausgehenden oder ankommenden Wärmeflusses in fühlbare und latente Anteile hängt in starkem Maße davon ab, wieviel Wasser der Grenzfläche zur Verdunstung zur Verfügung steht. Je mehr von der Energie, die der Grenzfläche zugeführt wird, für die Verdunstung verbraucht wird, desto weniger erwärmt sich die Luft. Nachts, wenn die Strahlungsbilanz an der Grenzfläche negativ ist, kann Kondensation an die Stelle der Verdunstung treten (Tau- bzw. Reifbildung). Dabei wird der Luft die freiwerdende Kondensationswärme zugeführt, und die Abkühlung verringert sich.

Die Wärmespeicherung hängt von der Bodenbeschaffenheit ab, also zum Beispiel von der Bodenart oder auch vom im Boden befindlichen nicht chemisch gebundenen Wasser. Je größer die Wärmespeicherkapazität ist, desto langsamer heizt sich tagsüber die Grenzfläche auf, desto geringer ist aber auch die nächtliche Abkühlung.

Die Nettoadvektion fühlbarer und latenter Wärme beschreibt den horizontalen Austausch von Luftmassen über unterschiedlichen Flächen aufgrund von Luftströmungen. Die Windgeschwindigkeit bestimmt weitgehend, wie sehr sich die Temperatur- und Feuchtewerte über benachbarten, aber uneinheitlich beschaffenen oder genutzten Flächen unterscheiden können. Größere Temperatur- und Feuchtedifferenzen können sich daher nur bei geringen Windgeschwindigkeiten aufbauen.

Wasser besitzt eine 3-4 mal höhere Wärmekapazität als Land, was eine deutlich geringere Temperaturerwärmung gegenüber Landmassen mit sich bringt. So hält sich auch bei intensiver und andauernder Einstrahlung die Erwärmung des Wassers vergleichsweise gering. Nachts kühlt es dagegen nicht so schnell und stark aus. Über die erwähnte Advektion wirkt das Wasser auf seine Umgebung temperaturausgleichend und bei Frostgefahr frostmindernd.

7.2 Die Wirkung lokalklimatischer Phänomene

Lokalklimatische Phänomene prägen sich am intensivsten bei Strahlungswetterlagen aus. Das sind Wetterlagen, bei denen ein geringer Bewölkungsgrad mit einer niedrigen Windgeschwindigkeit verbunden ist. Bei stärkerer Bewölkung und höheren Windgeschwindigkeiten mit vermehrter horizontaler Durchmischung treten die lokalen Phänomene immer mehr zurück, und es stellt sich ein Witterungszustand ein, der zunehmend von der großräumigen Zirkulation geprägt wird.

 

7.2.1 Kaltluftentstehung

Der großräumige Ablauf der Witterung ist durch das Heranführen unterschiedlicher Luftmassen gegeben. Das örtliche Klima wird durch die lokalen Klimafaktoren und die an Ort und Stelle herrschenden Ein- und Ausstrahlungsverhältnisse geprägt (siehe oben). Die lokalen Faktoren sind zum Teil natürlichen (geographische Lage, Orographie usw.), zum anderen anthropogenen Ursprungs (Dichte der Bebauung, Abholzungen, Dämme usw.). Die Beeinflussung durch lokale Faktoren ist umso größer, je geringer die horizontalen Luftdruckunterschiede und je intensiver die Ein- und Ausstrahlungsvorgänge sind. Solche Strahlungswetterlagen sind mit wolkenarmem und windschwachem Hochdruckwetter verbunden, d.h. die meteorologischen Elemente in Bodennähe werden vornehmlich durch die Energiebilanz an der Erdbodenoberfläche (siehe Kapitel 7.1) und in geringerem Maße von der Luftmasse bestimmt.

In klaren und windschwachen Nächten ist der durch die langwellige Ausstrahlung bedingte Energieverlust der Boden- bzw. Pflanzenoberfläche größer als der Gewinn durch die nach unten gerichtete Gegenstrahlung. Es ergibt sich eine Abkühlung an der Energieumsatzfläche und es bildet sich eine bodennahe Kaltluftschicht, in der die Temperatur mit der Höhe zunimmt.

Für die Energiebilanz an der aktiven Oberfläche ist auch der Wärmenachschub aus dem Boden von Bedeutung. An Stellen, wo er ungehindert erfolgt, wird die Temperatur stets höher sein, als dort, wo er unterbunden ist: Unbewachsener Boden liefert mehr Wärme als bewachsener, fester mehr als lockerer, feuchter mehr als trockener. Eine besonders starke Abkühlung ist über Grünland (Gras/Wiese), niedriger Vegetation, Ödland und Mooren gegeben, weniger über Ackerland und Getreideflächen. Betonflächen oder dicht bebaute Siedlungsgebiete leisten z.B. keinen Beitrag zur Kaltluftbildung.

 

7.2.2 Kaltluftsammelgebiet, Kaltluftstaus, Kaltluftseen

Als Folge der Kaltluftproduktion am Boden bildet sich in der bodennahen Luftschicht von einigen Metern bis wenigen Dekametern eine meist sehr stabile Schichtung aus. Diese Kaltluft kann sich wegen ihrer größeren Dichte bei genügendem Gefälle (in der Regel bei mehr als 3 %) auf unbewaldeten und unverbauten Geländeneigungen aufgrund der Schwerkraft talwärts in Bewegung setzen und in Tälern, Senken und Mulden sammeln. Zusammen mit der sich dort bei entsprechender Unterlage bildenden Kaltluft entsteht so eine Kaltluftansammlung, deren Mächtigkeit im Laufe der Zeit zunimmt. Vor einem natürlichen Hindernis (zum Beispiel Bewuchs) oder einem künstlichen (zum Beispiel Straßendämme oder größere Gebäude) kann sich Kaltluft ansammeln oder stauen. In dem hierbei entstehenden Kaltluftsee treten innerhalb der stagnierenden Kaltluft niedrigere nächtliche Temperaturminima auf als in der Umgebung. Als Folge ergibt sich auch eine höhere relative Luftfeuchte (Wasserdampfaufnahmefähigkeit der Luft ist temperaturabhängig: je höher die Temperatur, umso mehr Wasserdampf kann die Luft aufnehmen).

 

7.2.3 Nächtliche Abkühlung über unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten

Da die Bodenoberfläche oder Grenzfläche keine Wärmekapazität besitzt, muß die Summe aller zum Boden gerichteten Energieflüsse verschwinden (vgl. [Kapitel 7.1]):

(2)

Dabei werden alle zur Oberfläche gerichtetet Flüsse positiv angenommen.

Der Term Qs beinhaltet bei der Betrachtung nächtlicher Verhältnisse lediglich die langwelligen Anteile der Strahlungshaushaltes. Die in Kapitel 7.1 mit Qf bezeichneten anthropogenen Energieflüsse sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Da schwache Winde bzw. Windstille vorausgesetzt werden, ist der horizontale Austausch mit der Umgebung (Qa) vernachlässigbar.

Über verschiedenen Oberflächen können nun die jeweiligen Energieflußdichten, die durch den sogenannten Gradientansatz beschrieben werden können, bestimmt werden:

(3)

[Wm-2]

(4)

[Wm-2]

(5)

[Wm-2]

mit

z : Höhe [m]
zb : Tiefe im Boden [m]
r: Luftdichte [kgm-3]
cp : spezifische Wärme der Luft [Jkg-1K-1]
r : Verdampfungswärme [Jkg-1]
q : spezifische Feuchtigkeit [kg Wasserdampf/kg feuchte Luft]
T : Temperatur in der Luft [K]
Tb : Temperatur im Boden [K]
l: Wärmeleitfähigkeit des Bodens [Wm-1K-1]
kh,kv : turbulente Diffusionskoeffizienten [m2s-1]

DTz/Dz, Dqz/Dz und DTb/Dzb stellen die vertikalen Änderungen der Lufttemperatur, der spezifischen Feuchte und der Bodentemperatur in der Höhe z bzw. in der Bodentiefe zb dar. Dabei können in der bodennahen Luftschicht die turbulenten Flüsse von fühlbarer und latenter Wärme Qh bzw. Qv nahezu konstant angenommen werden, sofern mit zunehmender Stabilität der Luftschicht der Vertikalaustausch abnimmt. Dieser Zusammenhang wird in der Austauschtheorie der atmosphärischen Turbulenz durch den turbulenten Diffusionskoeffizienten ausgedrückt, der durch folgende Formel parametrisiert werden kann (KOHLSCHE, CZEPLAK [1980]):

(6)

[m2s-1]

wobei

a = 8,1 x 10-6
b = 1,12 x 10-4
c = 1,58

für 2 m über Grund ist; u ist die Windgeschwindigkeit in der Einheit cms-1. Dz ist in cm anzugeben. Die Koeffizienten a, b und c werden aus langjdhrigen Messungen der vertikalen, turbulenten Wärmeflüsse und Temperaturgradienten an der Klimastation Quickborn/Holstein des DWD abgeleitet. Da die Bodenbeschaffenheit des Quickborner Geländes vergleichbar mit der des Untersuchungsgebietes ist, kann Formel (6) zur Berechnung der Wärmeflüsse benutzt werden.

Näherungsweise wird k = kh = kv gesetzt, da die Unterschiede zwischen kh und kv nur geringfügig voneinander abweichen.

Zur Abschätzung der Bodenoberflächentemperatur T0 während einer Strahlungsnacht werden die Lufttemperatur in 10 m Höhe, die Windgeschwindigkeit in 2 m Höhe sowie die Bodentemperatur in 1,80 m Tiefe fest vorgegeben und die Wärmeleitfähigkeit in 3 unterschiedlichen Bodentiefen variiert. Die Bodenverhältnisse können für das Untersuchungsgebiet mit den folgenden Annahmen hinreichend genau beschrieben werden, da sie großflächig relativ einheitlich vorliegen. Als oberste Schicht wurde eine stark wärmeisolierende Grasschicht von 5 cm, als zweite, darunterliegende Schicht eine 20 cm dicke, lehmige Schluffschicht mit variablen Wassergehalt und damit unterschiedlicher Wärmeleitfähigkeit angenommen. Für die unterste 1,55 m dicke Schicht wurde nasser Lehm gewählt.

Werden die Ausdrücke (3) bis (5) in (2) eingesetzt, so ergibt sich die Energiebilanzgleichung der Erdoberfläche in Differenzenform zu

(7)

[Wm-2]

wobei die langwellige Strahlungsbilanz Q sich aus der atmosphärischen Wärmestrahlung A und der langwelligen Bodenstrahlung E

(8)

ergibt. Der Index a kennzeichnet T und q in 2 m über Grund. Für A wird eine modifizierte Parametrisierung von SWINBANK [1963] benutzt, die für nächtliche Verhältnisse in Norddeutschland geeignet ist. Sie lautet für 2 m über Grund

(9)

[Wm-2]

Für T2 wird näherungsweise T2=(6T10+T0)/7 gesetzt. E wird mit Hilfe des Gesetzes von STEFAN und BOLTZMANN berechnet zu

(10)

[Wm-2]

Dabei ist s=5,67 x 10-8 Wm-2K-4 (=STEFAN-BOLTZMANN-Konstante) und e =0,95=Emissionsgrad der Bodenoberfldche (hier Gras).

Unter diesen Voraussetzungen wurden für T0 die in Tabelle 1 angegebenen Werte iterativ aus (8) berechnet. Da es bei dieser Untersuchung auf eine quantitative Aussage einer möglichen Änderung von T0 in Abhängigkeit von der Wärmeleitfähigkeit l ankommt, wurde in einem ersten Vergleich die zweite Bodenschicht zunächst als feucht, l=1,2 ( Fall 1), dann als naß, l=1,7 (Fall 2), angenommen. Die Änderung von T0 ist auch bei Vorgabe unterschiedlicher Lufttemperaturen und Windgeschwindigkeiten minimal und mit < 0,1 K (Temperaturdifferenzen werden in K angeben) vernachlässigbar. Erst wenn eine trockene Zwischenschicht, l=0,4 (Fall 3), eingeführt wird, kann die Differenz von T0 abhängig von der Windgeschwindigkeit 0,36 K erreichen. Bei trockenem, lehmigen Untergrund (Fall 4) können im Vergleich zu nassem Lehm (Fall 5) Temperaturdifferenzen von etwa 1 bis 2 K auftreten. Dieser Fall trifft für das Untersuchungsgebiet jedoch nicht zu.

Kleinere Änderungen von l machen sich also kaum bemerkbar. Mit wachsender Windgeschwindigkeit (u2=1 m/s) nimmt der Luftaustausch zu und der vertikale Temperaturgradient ab.

Tab. 1 Temperatur T0 der Bodenoberfläche in Abhängigkeit von der Wärmeleitfähigkeit l des Erdbodens ( T10: Lufttemperatur in 10 m; u2: Windgeschwindigkeit in 2 m)

  Bodentiefe [cm] Wärmeleitfähigkeit l [Wm-1K-1]
5 0,08 0,4 4) 1,7 5) 3,0 0,08 3) 0,08 1) 0,08 2)
20 0,08 0,4 1,7 3,0 0,4 1,2 1,7
155 0,08 0,4 1,7 3,0 1,7 1,7 1,7
meteorol.
Bedingungen
  Temperatur T0 [EC]
T10=10 °C
u2=0,5 m/s
3,25 3,34 3,68 3.96 3,48 3,52 3,60
T10=8 °C
u2=0,5 m/s
1,21 1,35 1,82 2,20 1,53 1,60 1,61
T10=5 °C
u2=0,5 m/s
-1,87 -1,66 -0.95 -0,41 -1,37 -1,28 -1,26
T10=10 °C
u2=1,0 m/s
4,95 4,97 5,04 9,30 5,00 5,00 5,00
T10=10 °C
u2=0,2 m/s
-2,37 -1,84 -0,16 1,03 -1,14 -0,92 -0,88
T10=10 °C
u2=0,1 m/s
-4,91 -4,19 -1,92 -0,33 -3,23 -2,93 -2,88

Gras/Moor : l=0,08
Lehm trocken : l=0,4
Lehm feucht bis naß : l=1,2 bis 1,7
n): Fall n